Ordnungsansätze für immersive Welten: eine Einführung in die Regulierung der Metaverse

Matthias C. Kettemann
Institut für Theorie und Zukunft des Rechts, Universität Innsbruck
Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut, Hamburg
Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin

Martin Müller
Institut für Theorie und Zukunft des Rechts, Universität Innsbruck




Caroline Böck
Institut für Theorie und Zukunft des Rechts, Universität Innsbruck




1 EINFÜHRUNG

Die Metaversen[1] sind phänomenologisch vielfältig; technisch komplex; wirtschaftlich mit viel Potenzial ausgestattet; fordern tradierte Konzepte demokratischer Mitbestimmung heraus; und rechtlich noch kaum verfasst. „Wir werden im Metaversum fast alles tun können, was innerhalb unserer Vorstellungskraft liegt: [Bekannte] und Familie treffen, arbeiten, lernen, spielen, shoppen, Inhalte erstellen“, erklärt Metas Mark Zuckerburg seine Vision, „– und völlig neue Dinge, die wir uns […] noch gar nicht vorstellen können.“ Wo eingekauft wird, gelernt, gespielt, wo Äußerung getätigt, wo Verträge eingegangen werden,  da sind Normen relevant. Wo wir aktiv sind, äußern wir Meinungen, wir treten mit anderen in Kontakt und in Konflikt. Normen im Metaverse – wie Normen generell – lösen Verteilungsprobleme, Koordinationsprobleme, Kooperationsprobleme; sie haben eine Gestaltungs-, Befriedungs- und Ausgleichsfunktion. Aber wer setzt die Regeln für die Governance der Metaverse; und die Governance in den Metaversen? 

Schon diese Grundfragen sind aus demokratietheoretischer Sicht nicht einfach zu beantworten. Aber wir können aus der Geschichte lernen: Metaverse stehen heute in mancherlei Hinsicht da, wo digitale Plattformen um die Jahrtausendwende standen: weniger reguliert, mit viel Potenzial behaftet. Mit Aufkommen der Plattformen sind die kommunikativen Infrastrukturen demokratischer Öffentlichkeiten erheblichen Wandlungsprozessen ausgesetzt gewesen. Mit dem Metaversen beschleunigen sich die Herausforderungen noch. Bei Plattformen haben aktuell institutionelle Lösungsansätze für eine demokratische Rückbindung Vorderwasser; selbst in den Koalitionsvertrag der aktuellen Deutschen Bundesregierung haben sie es geschafft.[2] Auch in der Wissenschaft hat sich dieser Prozess als „Konstitutionalisierung“ der sozialen Medien etabliert (Celeste/Heldt/Keller 2022; Celeste 2022; De Gregorio 2022). Für die Metaverse stehen diese Schritte noch aus. Eine Untersuchung einiger rechtlicher Aspekte der Metaverse leistet dazu einen Beitrag. 

Zentrale Herausforderungen der Regulierung des Metaverse als virtuelles, immersives und interaktives Raumkonzept, das durch die Verschmelzung der physischen und digitalen Welt entsteht, liegen demanch in den Bereichen Datenschutz und Privatsphäre, Sicherheit, Content Governance, Interoperabilität, Offenheit und demokratische Teilhabe. Einige davon greift dieser Beitrag auf.

Nach der Einführung (1) untersuchen zwei Kapitel die Regulierung des Metaverse (2) und ausgewählte Rechtsfragen der Regelanwendung im Metaverse (3), bevor zukünftige Entwicklungen in den Blick genommen werden (4).[3]

2 REGULIERUNG DER METAVERSE

2.1 Grundlegendes

Weder der nationale noch der der unionale Gesetzgeber haben bisher ein ausgefeiltes Regulierungskonzept für die entstehenden Metaversen erarbeitet;[4] aktuell ist das Stadium normativer „Visionen“ erreicht (Europäische Kommission 2023).[5] Dennoch unterliegen einzelne Merkmale der Metaverse, ihre Anbieter und die Aktanten in ihnen (die Avatare) verschiedenen Regelungen im normativen Mehrebenensystem zwischen privaten Regeln, nationalem Recht und EU-Recht. Auch die technischen Eingangstore zu den Metaversen sind reguliert: Namentlich die VR-Brillen oder ähnliche Verbindungsobjekte unterliegen den bestehenden Regelungen im Bereich der Produktsicherheit.

Auch der Kommunikationsraum Metaversum ist an Normen gebunden. Dazu gehören privatrechtliche (was erlaubt die Plattform) und nationalrechtliche Normen (was erlaubt der Staat) sowie – aufgrund der wachsenden Regulierungsdichte hinsichtlich digitaler Dienste, Märkte, Daten und Algorithmen – zunehmend europäisches Recht. 

2.2.  Europäische Regulierungsansätze

Das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA)[6] ist eine Verordnung der EU, die im November 2022 in Kraft getreten ist. Der DSA und das zeitgleich mitverhandelte Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) zielen darauf ab, einen sichereren digitalen Raum zu schaffen, in dem die Grundrechte der Nutzenden digitaler Dienste geschützt sind, und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, um Innovation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Binnenmarkt zu fördern.

Der DSA findet gemäß Art. 2 Abs. 1 DSA Anwendung auf Vermittlungsdienste, die Nutzenden in der Europäischen Union angeboten werden – unabhängig davon, ob der Anbieter einen Niederlassungsort in der EU besitzt. In vergleichbarer Weise wird der Anwendungsbereich des DMA in Art. 1 Abs. 2 DMA geregelt. Bei einem Angebot für Nutzende in der EU fallen Metaversen daher in den Anwendungsbereich des DSA. In sachlicher Hinsicht sind Metaversen in der Dreiteilung der Vermittlungsdienste als Hostingdienste anzusehen: Zur Darstellung der virtuellen Welt und der Interaktion mit dieser müssen durch die Betreibenden Informationen der Nutzenden in deren Auftrag gespeichert werden, sodass die Anforderungen von Art. 3 lit. G Ziff. Iii DSA an Hostingdienste erfüllt sind. Einen Sonderfall stellen vollständig dezentral organisierte Metaversen dar. Hier fehlt es nicht an einem Hostingdienst, der das Metaversum betreibt, sondern es liegen mehrere Betreibende vor. 

Zunächst müssen die Betreibenden von Metaversen die für alle Vermittlungsdienste geltenden Regelungen der Art. 11–15 DSA erfüllen. Hier werden nun gegenüber der E-Commerce-Richtlinie weitere Pflichten eingeführt: So müssen etwa Kontaktstellen für Behörden, die Kommission und Nutzende bereitgehalten werden (Art. 11, 12 DSA), was durch eine entsprechende Ausgestaltung des Impressums iSd § 5 TMG erfüllt sein sollte. Schließlich müssen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aller Vermittlungsdienste bestimmten Anforderungen entsprechen (Art. 14 DSA), insbesondere rechtssicheres und bekämpfbares Moderationsverhalten sicherstellen. 

Neben den in Art. 14 Abs. 1 DSA beschriebenen Mindestanforderungen an den Inhalt der AGB verlangt Art. 14 Abs. 4 das, dass die Interessen der Nutzenden bei der Moderation von Inhalten und bei Beschwerden, die von Plattformen bearbeitet werden, zu berücksichtigen sind. Ausdrücklich werden hierbei die Grundrechte Nutzender genannt, etwa das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BGH handelt es sich damit um eine unmittelbare, „horizontale“ Grundrechtsbindung der Plattformen unabhängig von ihrer Größe[7](Quintais/Appelman/Fahy 2022). Metaverse-Betreibende müssen daher klar festlegen, wann und warum sie Moderationsakte setzen und welche Rechtsmittel bestehen. Einschlägig wird auch Art. 15 zur Transparenzpflicht  bei der Inhalte-Moderation sein.

Der Digital Markets Act (DMA)[8] versucht, die wirtschaftliche Macht der „Big Tech“-Plattformen auf den digitalen Märkten einzuschränken. Für die Anwendung des DMA auf Metaversen fehlt es – unabhängig von den mit Blick auf die Zukunft variablen Voraussetzungen des Einflusses auf den Binnenmarkt und der gefestigten und dauerhaften Position – an einer Benennung von Metaversen als zentrale Plattformdienste.

Der Daten-Governance-Rechtsakt (DGA)[9] ist der erste Rechtsakt auf Unionsebene, der sich mit dem Teilen von Daten befasst. Während sich die DSGVO mit dem Schutz personenbezogener Daten befasst, will der DGA zunächst die wirtschaftliche Nutzung von Daten im Allgemeinen, d.h. von personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten, reglementieren und stellt somit eine Neuausrichtung der Politik der Union dar (Metzger/Schweitzer 2023).

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Datengesetz[10] ist das Kernstück der „Datenstrategie“. Ziel ist es, die Menge der öffentlich verfügbaren Daten zu erhöhen. Derzeit werden durch Geräte des Internets der Dinge (IoT) riesige Datenmengen generiert, die in der Regel bei den Herstellenden verbleiben und nur in Ausnahmefällen abgerufen werden können. Hier mehr Datenaltruismus oder Datentreuhandmodelle zu entwickeln, wäre ein Mehrwert für (auch kleinere) Metaverse-Betreibende.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission für ein Gesetz über Künstliche Intelligenz[11] ist eine risikobasierte Regulierung (Ebers et al. 2021, 589 (589); De Gregorio/Dunn, 473 (488ff.)), bei der der Einsatz von KI-Systemen in verschiedene Risikokategorien eingeteilt wird, mit weitergehenden Regelungen für höhere Risiken für die Grundrechte der Nutzenden.

Möglich erscheint auch, dass die aktuell primär an Kommunikationsdiensten ausgerichteten Interoperabilitätsregelungen für eine gewisse Standardisierung der Datenformate bei Metaversen sorgen können. Die Vorschriften zur Interoperabilität von Daten gilt zwar aktuell nur für Datenvermittlungsdienste (Art. 26 Abs. 3, 4 iVm Art. 29 DatenG-E) und Betreibende von Datenräumen gemäß Art. 28 ff. DatenG-E. Haben diese Dienste allerdings den von der Kommission prognostizierten Erfolg (Europäische Kommission o.J.), so werden weite Teile der Digitalwirtschaft, etwa Betreibende von Metaversen, in naher Zukunft Datenvermittlungsdienste und Datenräume nutzen und damit zwangsläufig den Standardisierungsregeln folgen müssen. 

2.3 Allgemeine Geschäftsbedingungen

Es zeigt sich, dass die bestehenden Regulierungen die wesentlichen Merkmale des Metaversums, namentlich die Hardware, Software sowie den „Content“, nur am Rande regulieren und stark abhängig davon sind, welche Metaversen sich am Markt durchsetzen werden und wie sie konkret ausgestaltet sind. Prägende Akteure sind vielmehr die zuvor beschriebenen digitalen Unternehmen mit ihren vertragsbasierten privaten Ordnungen.

3 REGULIERUNG IN METAVERSEN

3.1 Kommunikationsraum 

Die privaten Ordnungen auf digitalen Plattformen, wie sozialen Medien, unterliegen heutzutage zunächst technischen Einstellungen, aber auch den Richtlinien, welche das digitale Unternehmen selbst erarbeitet hat (Quintais/de Gregorio/Magalhães 2023). Diese Regeln werden häufig „Community Guidelines“ genannt. Community Guidelines beschreiben die Nutzer:innen-Verhältnisse zueinander, aber auch das Verhältnis zwischen den Nutzenden und der Plattform.[12] Diese Regeln haben zwar de facto eine ordnungsschaffende Wirkung, denn sie konstituieren die private Kommunikationsordnung als eine Teilregimeverfassung. Sie sind aber systematisch dem Zivilrecht zuzuordnen und entfalten eine konkrete Wirkung aufgrund der privatrechtlichen Rechtsbeziehung (Quintais/de Gregorio/Magalhães 2023). Die Zulässigkeit von solchen Regelungen lässt sich wiederum aus dem Grundgesetz ableiten, konkret aus den Grundrechten der Privatautonomie, der Berufsfreiheit sowie der Eigentumsfreiheit, da die Grundsätze es Privaten ermöglichen, innerhalb der gesetzlichen Vorgaben private Strukturen und Ordnungen zu organisieren (Teubner 2012, 36ff.; Mast/Kettemann/Schulz 2023 i.E.).

Die Nutzung einer Plattform ist nur nach vorheriger Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen möglich, welche die Community Guidelines beinhalten. Hierdurch wird typischerweise ein Plattformnutzungsvertrag geschlossen.[13] Die Nutzungsbedingungen selbst werden dabei regelmäßig nach § 305 Abs. 1 S. 1 BGB in den Vertrag als Allgemeine Geschäftsbedingungen mit einbezogen.[14] Die Zuordnung als allgemeine Geschäfts­bedingungen ist insoweit unproblematisch, da die Nutzungsbedingungen einseitig von dem die Plattform betreibenden Unternehmen für eine Vielzahl von Verträgen gestellt werden, vorformuliert sind und grundsätzlich nicht verhandelbar sind. Insofern ist das AGB-Recht auf die Nutzungsbedingungen anwendbar. Die einzelnen Klauseln müssen für sich genommen einer gerichtlichen AGB-Kontrolle standhalten. 

Neben den konkreten Klauselverboten aus §§ 308 f. BGB bietet § 307 Abs. 1 S. 1 BGB über den Grundsatz von Treu und Glauben die Möglichkeit, als zivilrechtliche Öffnungsklausel Wertungen des Verfassungsrechts zu berücksichtigen.[15] Dies hat sich die Rechtsprechung zunutze gemacht und über die Lehre der mittelbaren Drittwirkung[16] eine Grundrechtsbindung für Betreibende von Online-Plattformen begründet,[17] welche bei der Ausgestaltung von Nutzungs­bedingungen berücksichtigt werden muss. Die Grundrechte würden die Plattformen dabei nicht unmittelbar binden, da sie private Unternehmen seien und keine staatliche oder staats­gleiche Funktion innehätten.[18] Eine staatsgleiche Funktion sei nur dann anzunehmen, wenn ein Privater in tatsächlicher Hinsicht „in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachse […] wie traditionell der Staat“[19]. Dies sei im Bereich der Kommunikation, in welchem sich auch die Plattformen – und zukünftig mitunter auch die Metaversen – bewegen (werden), nur anzunehmen, wenn „private Unternehmen die Bereit­stellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die – wie die Sicherstellung der Post- und Telekommunikations­dienstleistungen – früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zugewiesen waren.“[20] Eine solche Kommunikationsbereitstellung findet aber (noch) nicht statt. Gänzlich auszuschließen ist sie nicht, da Metaverse-Zugänge sehr viel stärker privat reguliert sind. 

 3.2 Avatare

In Metaversen handeln menschliche Akteure vermittelt über nichtphysische Aktanten, die Avatare. In zivilrechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, wie der Aspekt der Verschmelzung der realen Welt mit der Welt des Metaverse über einen Avatar auf zivilrechtliche Zurechnungsfragen wirkt. Klar ist, dass der Avatar zentraler Anknüpfungspunkt für Handlungen im Metaverse ist. Die Avatare stellen die digitale Identität einer natürlichen oder juristischen Person dar und werden als verlängerter Arm eines Rechtssubjekts betrachtet (Kaulartz/Schmid/Müller-Eising 2022). Der Avatar wird das maßgebliche Zurechnungsobjekt im Metaversum darstellen, welches sämtliche Handlungen im Metaverse für bzw. durch das Rechtssubjekt vornehmen wird (Rippert/Weimer 2007). Wer über das Internet etwas bestellt, handelt auch technologievermittelt – ein Avatar ist in dieser Sicht nicht grundsätzlich anders als eine E-Mail, die man lustig anziehen kann. Avataren ist es möglich, Willenserklärungen im Metaversum abzugeben, etwa um Konzerttickets oder andere Güter und Dienstleistungen zu erwerben (Kaulartz/Schmid/Müller-Eising 2022). Indes handelt nicht „der Avatar“, sondern der Mensch dahinter.

Können sich Avatare strafbar machen? Nein, aber die Menschen, die durch sie handeln, schon. Genauso wie nicht ein Posting oder eine E-Mail eine Beleidigung begeht, muss der Blick vom Aktanten, dem Avatar, auf den Menschen gerichtet werden, sobald rechtliche Verantwortlichkeit zugeschrieben werden soll. Dies setzt jedoch die Anwendbarkeit  eines nationalen Strafrechts, wie des deutschen StGB, voraus. Aufgrund des Territorialprinzips ist die hoheitliche Strafgewalt auf das eigene Hoheitsgebiet beschränkt (näher zum Territorialprinzip: Mills 2006, grundlegend: Schmalenbach/Bast 2017). Bei der Bestimmung des Tatorts von strafrechtlichen Handlungen im Internet ist anerkannt, dass zumindest solche Straftaten dem deutschen Strafrecht unterliegen, die gegen einen deutschen Staatsangehörigen begangen wurden oder von diesem begangen wurden (Schönke/Schröder/Eser/Weißer o.J.). Dies lässt sich grundsätzlich auf das Metaverse übertragen, wenn die Möglichkeit bestehen wird, den Avatar des Metaverse einer bestimmten realen Person zuzuordnen (zustimmend: Kaulartz/Schmid/Müller-Eising 2022, 521 (529f.).

Ins Gegenteil gekehrt: Wird ein Avatar zum Opfer einer Tat, zum Beispiel einer Beleidigung, betrifft das immer auch die Person dahinter? Das kommt darauf an: Ein Avatar ist ein Kommunikationsmedium. Ein Handy kann ich nicht beleidigen, aber bei einem Avatar ist zu differenzieren, wie stark der Bezug zwischen Avatar und Realperson dahinter ist. Besteht ein sehr starker Bezug – gibt ein Avatar etwa eine Person in zentralen Eigenschaften wieder, sodass davon auszugehen ist, dass die Realperson identifizierbar ist –, dann wird eine Beleidigungseigenschaft wohl anzunehmen sein (allerdings eben der Person dahinter). 

Manche Rechtsverletzungen kann man „an Avataren“ nicht begehen, etwa einen Mord oder einen ‚klassischen‘ Diebstahl. Bei anderen Rechtsverletzungen können andere Tatbestände als „in real life“ angewandt werden. Wer etwa einen Avatar „entführt“, könnte wegen computerbezogenen Rechtsverstößen (Hacking) zur Rechenschaft gezogen werden können. 

Dürfen Avatare kopiert oder verfremdet werden? Auch das kommt darauf an. Zwar haben sie keine eigenen Persönlichkeitsrechte, aber insofern eine Realperson erkennbar ist, schlagen die Rechte dieser Person durch. Auch bei Avataren, die niemand ähneln, könnten geistige Eigentumsrechte relevant sein. Nicht jeder kann etwa einen Avatar in Form einer Disney-Figur erstellen.

4 EIN METAVERSE FÜR ALLE?

Die Metaverse-Technologie ist trotz substanzieller Investitionen weder marktreif noch flächendeckend im Einsatz. Das ermöglicht dem nationalen wie europäischen Gesetzgeber mit sinnvollen Regeln proaktiv individuelle Freiheitsräume zu schützen und negative gesellschaftliche Folgen abzumildern. Während das Recht der Plattformen (DSA und DMA) erst etwa 20 Jahre nach deren Bedeutungsgewinn zu Anfang des 21. Jahrhunderts entstanden ist, kann kluge Metaverse-Regulierung effektiv Rechtsgüterschutz sicherstellen. Auch die Konstitutionalisierungsprozesse der Plattformen durch interne Verrechtlichung und externe Responsibilisierung (etwa durch Verfahrenspflichten und AGB-Kontrolle sowie durch Transparenzvorschriften und Risikominimierungspflichten) können für Metaverse weit früher – vor dem breiten Nutzung – zielführend einsetzen.

Zentralisierte Metaversen bergen Risiken für demokratische Werte, für offene Diskurse, für rationale Selbstbestimmungsprozesse. Metaverse-Betreibende können ihre besondere Einflussposition auf die Regeln und Moderationspraxen missbrauchen. Die Öffnung der Plattformen und ihre verstärkte Kritik aus Perspektive der Demokratietheorie zeigt klar, in welche Richtung der regulative Wind weht (Hermann 2022). 

Gerade mit Bezug auf die Metaverse spricht viel dafür, innovative Modelle für die institutionelle Beschränkung der Macht der Betreibenden und der Verbesserung der Legitimität der sozialen Ordnungen des Metaverse zu entwickeln.  Das sollte in enger Abstimmung mit allen Stakeholdern der digitalen Wendezeiten geschehen. Wie die Nationale Akademie der Wissenschaften fordert, müssen, „[i]nno­vative Partizipationsideen […] gezielt gefördert werden, da etablierte Plattform­betreiber und Diensteanbieter ihren gängigen Geschäfts- und Beteiligungs­modellen verhaftet sein dürften, was die Unterstützung demokratiefreundlicher, kommerziell weniger verwertbarer Formate von privatwirtschaftlicher Seite behindern könnte“ (Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V./acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V./Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e. V. 2021, 56) Demokratie im Metaverse könnte also von Initiativen von „unten“ und „außen“ getragen werden. 

Das hat die EU erkannt und breitangelegte unionsweite Bürgerräte eingesetzt. Diese haben, neben einem Leitfaden für „gutes“ Verhalten im Metaverse, weitere Empfehlungen sowie acht Grundprinzipien erarbeitet, die bei der Regulierung des Metaverse und im Metaverse gelten sollen (Bürgerrat.de 2023). Als besonders wichtiges Grundprinzip wurde dabei der Schutz der Nutzenden herausgestellt. Solche Partizipations­verfahren – ähnliche hat Meta selbst global organsiert –  sind wichtige Vorstufen zur Entwicklung legitimer Regeln für virtuelle Welten. Eine Anpassung der Regulierung wäre vor dem Hintergrund des sog. Brussels effect effektiv, da demnach unionale Rechtsakte eine Strahlkraft in der internationalen Gemeinschaft erzeugen und andere Staaten dazu anregen, die Regeln zu übernehmen oder eigene ähnliche Rechtsakte zu erlassen. In diese Richtung gehen auch die ersten Vorstudien europäischer Institutionen, darunter ein Dokument des Kultur- und Bildungskomitees[21] und eine längere Studie des Rechtskomitees des Europäischen Parlaments (European Parliament Committee on Legal Affairs 2023).

Wünschenswert wäre zusätzlich ein völkerrechtlicher Rahmen, der den Zugang sowie die Entwicklung der Metaversen mitbestimmt, da das Metaverse nicht nationalstaatlich gedacht werden kann, sondern global betrachtet werden muss, zumal es auf eine globale Nutzung ausgerichtet ist. Eine globale Regulierung sollte auch Fragen der internationalen Solidarität nicht ausklammern: Aktuell ist ein Zugang zum Metaverse nämlich privilegienbehaftet. Wenn sich das Metaverse zu einem fairen und offenen, rechtsunterlegten Kommunikationsraum entwickeln soll, müssen auch Perspektiven eines Zugangs für alle entwickelt werden.

LITERATUR

Bürgerrat.de, Virtuelle Welten für alle vom 24.4.2023, https://www.buergerrat.de/aktuelles/virtuelle-welten-fuer-alle.

Celeste/Heldt/Keller (Hrsg), Constitutionalising Social Media (2022)

Celeste, Digital Constitutionalism (2022)

Sam Jungyun Choi et al. (2023). Regulating the Metaverse in Europe, https://www.globalpolicywatch.com/2023/04/regulating-the-metaverse-in-europe.

De Gregorio, Digital Constitutionalism in Europe (2022).

De Gregorio/Dunn Common (2022). Market Law Review, 473 (488 ff.).

Europäische Kommission (o.J.). Europäische Datenstrategie, https://commission.europa.eu/strategy-and-       policy/priorities-2019-2024/europe-fit-digital-age/european-data-strategy_de (zuletzt abgerufen: 6.6.2023).

Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V./acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V./Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e. V. (S. 56).

Ebers et al. (2021). Multidisciplinary Scientific Journal, 589. 

Europäische Kommission (2023). Virtual worlds (metaverses) – a vision for openness, safety and respect, https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13757-Virtual-worlds-metaverses-a-vision-for-openness-safety-and-respect_en

European Parliament Committee on Legal Affairs, Metaverse, https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2023/751222/IPOL_STU(2023)751222_EN.pdf.

Hermann, Demokratische Werte nach europäischem Verständnis im Metaverse (2022).

Kettemann/Böck (2023), Regulierung des Metaverse. In Steege/Chibanguza (Hrsg.), Metaverse 

Kettemann/Müller (2023), Plattformregulierung, jeweils in Steege/Chibanguza (Hrsg.), Metaverse (2023) (im Erscheinen). 

Mast/Kettemann/Schulz (2023, im Erscheinen). In Puppis/Mansell/van den Bulck (Hrsg.), Handbook of Media and Communication Governance.

Metzger Axel/Schweitzer, Heike (2022). Shaping Markets: A Critical Evaluation of the Draft Data Act. ZEuP, 01, 42.

Mills, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006), 1 (13)

Müller/Kettemann (2023, im Erscheinen). European approaches to the regulation of digital technologies. In Werthner et al. (Hrsg.), Introduction to Digital Humanism (2023)

Quintais/Appelman/Fahy (2022). “Using Terms and Conditions to Apply Fundamental Rights to Content Moderation”, https://ssrn.com/abstract=4286147, 25.

Quintais, João Pedro/De Gregorio, Giovanni/Magalhães, João C. (). How platforms govern users’ copyright-protected content: Exploring the power of private ordering and its implications. Computer Law & Security Review, 48 (Article 105792), 3.

Quintais/de Gregorio/Magalhães, Computer Law & Security Review 2023, 105792, 5.

Schmalenbach/Bast, VVDStRL 2017, 245 (248).


[1] Das Metaversum wird im Sinne einer (nicht bindenden) Definition der EU verstanden als „immersive and constant virtual 3D world where people interact through an avatar to enjoy entertainment, make purchases and carry out transactions with crypto-assets, or work without leaving their seat” (Europäische Kommission/Analysis and Research Team, Metaverse – Virtual World, Real Challenges vom 9.3.2022, S. 3.), wobei verschiedene Metaversen existieren.

[2] Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfiehlt die verstärkte demokratische Rückbindung von Plattformen, siehe Leoplodina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (2021): Digitalisierung und Demokratie, https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2021_Stellungnahme_Digitalisierung_und_Demokratie_web_01.pdf, S. 46.

[3] Ausführlicher zur Rolle von Recht im Metaverse und mit weiteren Nachweisen: Kettemann/Böck (2023, im Erscheinen) sowie Kettemann/Müller (2023, im Erscheinen). Ausführlicheres zur Plattformregulierung findet sich bei Müller/Kettemann (2023, im Erscheinen). Dieser Beitrag baut auf diesen Ausführungen auf und fasst diese zusammen.

[4] Konsultationen wurden hingegen schon durchgeführt, vgl. Choi et al. 2023.

[5] “The European Commission will develop a vision for emerging virtual worlds (e.g. metaverses), based on respect for digital rights and EU laws and values. The aim is open, interoperable and innovative virtual worlds that can be used safely and with confidence by the public and businesses.“ (Europäische Kommission 2023).

[6] VO (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.10.2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der RL 2000/31/EG (Gesetz über digitale Dienste), ABl. L 277, 1.

[7] Spindler, GRUR 2021, 545 (551); Mast, JZ 2023, 287 (289).

[8] VO (EU) 2022/1925 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.9.2022 über bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor und zur Änderung der RL (EU) 2019/1937 und (EU) 2020/1828 (Gesetz über digitale Märkte), ABl. L 265, 1.

[9] VO (EU) 2022/868 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2022 über europäische Daten-Governance und zur Änderung der VO (EU) 2018/1724 (Daten-Governance-Rechtsakt), ABl. L 152, 1.

[10] Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung (Datengesetz), COM(2022) 68 final.

[11] Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (Gesetz über künstliche Intelligenz) und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union, COM(2021) 206 final.

[12] Vergleiche: Community Guidelines Instagram, abrufbar unter: https://help.instagram.com/477434105621119/?helpref=hc_fnav; genauer bei: Mast/Kettemann/Schulz (2023, im Erscheinen).

[13] Friehe NJW 2020, 1697 (1697); grundlegend OLG München NJW 2018, 3115 (3116); zustimmend: BGH ZUM 2021, 953 (957 f.).

[14] Spindler, CR 2019, 238 (240); Friehe, NJW 2020, 1697 (1697); OLG München NJW 2018, 3115 (3116).

[15] MüKoBGB/Wurmnest, BGB § 307 Rn. 57.

[16] Grundlegend BVerfGE 7, 198 (205 ff.).

[17] Grundlegend BVerfG NJW 2019, 1935 (1936) mit Bezug zu digitalen Plattformen; auch: BGH NJW 2012, 148 (150 f.); BGH NJW 2016, 2106 (2107 ff.) mit Bezug zur Haftung von Hostingdiensten.

[18] BGH ZUM 2021, 953 (961).

[19] BGH ZUM 2021, 953 (960); BVerfG ZUM 2020, 58 (70) mwN.

[20] BGH ZUM 2021, 953 (960); BVerfG ZUM 2020, 58 (70 f.) mwN.

[21] Draft Opinion of the Committee on Culture and Education for the Committee on the Internal Market and Consumer Protection on virtual worlds – opportunities, risks and policy implications for the single market (2022/2198(INI)), 27.4.2023, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/CULT-PA-746918_EN.pdf; mit Ergänzungen: Amendments 1-64, Draft opinion by Laurence Farreng (PE746.918v01-00), Virtual worlds – opportunities, risks and policy implications for the single market (2022/2198(INI)), 5.6.2023, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/CULT-AM-749262_EN.pdf.

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