Unverpixelter Hass? Die Lehren aus VR-Gaming für eine digitale Zivilgesellschaft

Mick Prinz
B. A. Sozialwissenschaften, Leiter des Modellprojektes „Good Gaming – Well Played Democracy“ der Amadeu Antonio Stiftung. Gemeinsam mit Spieleentwickler*innen, E-Sportler*innen und Influencer*innen setzt er sich für eine stärkere digitale Zivilgesellschaft in der Gaming-Kultur ein. Forschungsschwerpunkte: toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys, user*innengenerierter Content auf Gaming Plattformen und Propagandavideospiele

Videospielwelten sind immersive Realitäten. Je nach Genre und Spieltyp werden unterschiedlichste Narrationen aufgegriffen, Szenarien eröffnet und Werte vermittelt. Gaming ist weitaus mehr als das eskapistische Abtauchen in einen digitalen wilden Westen, mittelalterliche Dörfer oder futuristische Weltraumschlachten. Innerhalb unterschiedlicher Gaming-Räume werden politische Debatten ausgetragen und Stereotype abgelehnt oder reproduziert. Vor allem in den toxischen Nischen der Gaming-Welten versuchen dabei antidemokratische Akteur*innen, metapolitische Strategien anzuwenden und rassistische, antisemitische oder misogyne Narrative zu normalisieren. Gleichzeitig koexistieren zahlreiche Bewegungen, die für ein pluralistisches Werteverständnis einstehen. Virtuelle Realitäten sind dabei schon seit den 1980er-Jahren Erprobungsfeld der Videospielindustrie. Welche Erfahrungen für metaverseähnliche Strukturen lassen sich aus Gaming-Welten ableiten? Wie versuchen toxische- und rechtsextreme Akteur*innen immersive Videospielräume zu instrumentalisieren und welche Bedrohungen und Potenziale für eine digitale Zivilgesellschaft birgt Virtual Reality (VR)-Gaming? 

EINFÜHRUNG

In Deutschland spielen über die Hälfte der 6-69-Jährigen Computer- und Videospiele.1Game-Verband der deutschen Games-Branche e.V., 2023, https://www.game.de/wp-content/uploads/2023/08/230809GME_Jahresreport_2023_168x240_DE_Web.pdf (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Während viele Spieletitel mehr und mehr mit Stereotypen brechen, greifen einige Videospiele antidemokratische Narrative auf und reproduzieren in Handlungen oder Charaktergestaltung Diskriminierung. Dabei sind es längst nicht mehr ausschließlich die Spielesettings, welche politische Implikationen bereithalten. Es sind vor allem die Gaming-Communitys, die zunehmend politischer werden. Debatten wie Black Lives Matter2GameStar Redaktion, 2022, https://www.gamestar.de/artikel/live-stream-mit-der-chefredaktion-blacklivesmatter-und-der-einfluss-auf-die-gaming-branche,3358410.html (letztes Abrufdatum 10.12.2023), die Invasion der Ukraine oder die Situation in Nahost3Redaktion Deutschlandfunk, 2023, https://www.deutschlandfunkkultur.de/digital-demonstrieren-die-gamingszene-der-krieg-in-nahost-dlf-kultur-20f449ad-100.html (letztes Abrufdatum 10.12.2023) werden ebenfalls in Ingame-Chats und auf Gaming-Plattformen ausgetragen. Diskussionen sind dabei nicht selten geprägt von toxischen Argumenten und Diskriminierung von marginalisierten Positionen – ein Klima, welches von demokratiefeindlichen Akteur*innen ausgenutzt wird. Wenig moderierte Gaming-Räume werden instrumentalisiert, um menschenfeindliche Narrative zu verbreiten, Menschen einzuschüchtern und eine internationale Vernetzung anzustreben. Sowohl auf Gaming-Plattformen wie Twitch, Steam oder Roblox, aber auch in Ingame-Räumen, in Sprach- oder Textchats oder virtuellen Realitäten erleben Spieler*innen toxische Agitationen. Die Intensität von Hass und Diskriminierung variiert innerhalb der immersiven Gaming-Realitäten. 

In einem ersten Schritt geht dieser Beitrag auf die Beschaffenheit der Videospielkultur ein und liefert eine Begriffsschärfung für immersive Gaming-Realitäten. Dabei werden verschiedene Beispiele skizziert und Eckpfeiler des VR-Gamings nachgezeichnet. Anschließend rückt das Thema Dark Partizipation und Toxicity in Videospielkontexten in den Mittelpunkt. Verschiedene Diskriminierungsebenen werden skizziert und Beispiele für reaktionäre Agitationen innerhalb verschiedener Gaming-Communitys diskutiert. In den Fokus rückt dabei auch die extreme Rechte in bereits bestehenden immersiven Realitäten. Hier werden drei Formen der Instrumentalisierung untersucht: die Vernetzung, die Mobilisierung und die „Metapolitik“ der extremen Rechten in Videospielkontexten. Diese Beispiele unterstreichen, mit welchen Herausforderungen sich metaverseähnliche Strukturen konfrontiert sehen und mit welchen Aufgaben sie sich zukünftig beschäftigen müssen. Dass immersive Realitäten aber auch enorme Potenziale für demokratische Wertevermittlungen haben, wird anschließend offeriert. Hier werden sowohl Titel betrachtet, die primär für den Unterhaltungssektor ausgelegt sind, als auch Serious Games (Spiele mit bildungspolitischem Fokus). Beide Videospieltypen können dazu beitragen, Werte durch virtuelle Realitäten zu vermitteln. Der Text endet mit einer Zusammenfassung der Lehren und Herausforderungen für die Gestaltung metaversähnlicher Strukturen, basierend auf den Erfahrungen des Kulturgutes Gaming.

WAS VERSTEHEN WIR UNTER IMMERSIVEN REALITÄTEN BEI VIDEOSPIELEN?

Mit dem Begriff Immersion ist zunächst das Eintauchen in eine bestimmte Umgebung oder ein bestehendes Setting gemeint (Murray, 1998). Digitale Technologien wie Virtual Reality, Augmented Reality (AR), Mixed Reality (XR) oder das Ökosystem vieler digitaler Spiele werden als immersive Realitäten klassifiziert.4Mühlhoff & Schütz, 2019; Nilsson et al., 2016 Vor allem Videospiele beinhalten in der Regel Elemente von immersiven Realitäten. So besitzen sie eine virtuelle Umgebung, die teilentkoppelt ist von der analogen Welt, aber an die Realität angelehnt sein kann. Ein Beispiel dafür ist das populäre Spiel Minecraft, welches 2023 monatlich über 180 Mio. Nutzer*innen aufweist.5Redaktion G-Portal, 2023 https://www.g-portal.com/wiki/de/wie-viele-leute-spielen-minecraft/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Hier können ganze Welten gebaut und designt werden, eigene Ökosysteme entstehen und Spieler*innen verfolgen eigene kooperative oder kompetitive Ziele. Neben vielen fiktiven Welten hält Minecraft dabei auch Server bereit, auf denen Spieler*innen beispielsweise reale deutsche Großstädte nachbauen, während an anderer Stelle digitale Abbilder von Friedensnobelpreisträger*innen Spieler*innen über demokratische Grundwerte informieren.6Diedrich, Gamestar.de, 2022 https://www.gamestar.de/artikel/minecraft-nobel-dalai-lama,3378349.html (letztes Abrufdatum 10.12.2023) In einem Projekt von „Reporter ohne Grenzen“, der „Uncensored Library“, werden in einer digitalen Minecraft-Umgebung Werke ausgestellt, die in autokratischen Regimen verboten sind. Durch die freie Zugänglichkeit zur immersiven Realität Minecraft bleibt so progressive Literatur auch in Diktaturen frei einsehbar.7Redaktion Reporter ohne Grenzen e.V.,2023 https://www.uncensoredlibrary.com/de (letztes Abrufdatum 10.12.2023)

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Abbildung 1: Screenshot des Bereiches Saudi-Arabien in der „Uncensored Library, Quelle: Reporter ohne Grenzen, 2023


Ein weiteres Element immersiver Realitäten findet sich in Videospielen: die Avatarisierung. Spieler*innen können meist in die Rolle eines fiktiven Charakters schlüpfen, eine eigene Geschichte kreieren oder einem vorgefertigten roten Faden folgen. Auch das Designen eines eigenen Charakters ist vor allem in (Online-)Rollenspielen zentraler Bestandteil. Viele moderne Titel implementieren dabei vielfältige Möglichkeiten, um das eigene digitale Abbild auf Wunsch sehr nah an reale Gegebenheiten anzupassen. Titel wie das Weltraumrollenspiel „Starfield“ ermöglichen dabei eine freie Pronomenwahl, andere Beispiele wie das Fantasierollenspiel „Baldurs Gate 3“ lassen Stimme, Geschlechterzuschreibung und äußerliche Merkmale unabhängig voneinander wählen. Während viele Spieler*innen diese Diversitätsoptionen begrüßen und so Spielende ihre eigenen Identitäten korrekt in ein Spiel integrieren können, reagieren andere Gamer*innen mit reaktionärer Ablehnung und toxischer Kritik.8Seng, FAZ, 2023, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/pronomen-in-games-wokeness-im-weltall-19288095.html (letztes Abrufdatum 10.12.2023) 

Zusätzlich fällt auf, dass viele Online-Videospiele vielschichtige Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Entitäten ermöglichen. Exemplarisch ist hier das eskapistische Simulationsspiel „Animal Crossing: New Horizons“ zu nennen. Eine Spielmechanik ermöglicht hier, benachbarte Inseln von anderen Spieler*innen zu besuchen. Neben sozialen Interaktionsmöglichkeiten kann ein Besuch aber auch ökonomisch motiviert sein: Andere Inseln bedeuten potenziell andere Rübenpreise – ein seltener Rohstoff, bei dem die Preise täglich variieren und auf verschiedenen Spieler*innen Inseln unterschiedlich ausfallen. Hier stehen dann weniger soziale Beweggründe im Vordergrund, sondern die kapitalistische Maximierung des eigenen Geldes innerhalb des Spielekosmos.9Zeitz, Gamestar, 2020, https://www.gamepro.de/artikel/animal-crossing-new-horizons-ruebenpreise-vorhersagen,3357127.html (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Neben diesen offensichtlichen und vom Spiel vorgegebenen Interaktionsformen machte Animal Crossing aber auch durch politischen Protest auf sich aufmerksam. Spielende schlossen sich zusammen und demonstrierten für ein freies Hongkong, für die antirassistische Black-Lives-Matter-Bewegung oder gegen toxische Firmenstrukturen in Gaming-Unternehmen.10Mack, ze.tt, 2020, https://www.zeit.de/zett/politik/2020-04/china-verbannt-animal-crossing-nach-virtuellen-hongkong-protesten (letztes Abrufdatum 10.12.2023) 

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Abbildung 2: Black Lives Matter Protest in die Sims 4, Quelle: BlackSimsMatter, 2020


Digitale Proteste mit Bezügen zu realexistierenden Konflikten finden vielerorts in immersiven Realitäten statt, während in anderen Titeln kooperative oder kompetitive Szenarien im Vordergrund stehen. Potenzielle Merkmale für eine immersive Gaming-Realität sind also, dass eigene Ökosysteme entstehen, die Möglichkeit, mit einem Avatar fiktive oder realistische Szenarien zu durchleben, Geschichten zu prägen und mit anderen Spielenden zu interagieren. 

GAMING UND DIE WECHSELHAFTE BEZIEHUNG ZU VIRTUAL REALITY

Debatten um den Einsatz von VR-Technologie sind nicht neu. Schon Jahrzehnte bevor Mark Zuckerberg und Meta die Vorstellung einer metaversartigen, digitalen Parallelwelt veröffentlichten, gab es die ersten VR-Gehversuche in der Gamesbranche. In den 1980er-Jahren versuchten sich Projekte an ersten VR-Versionen, jedoch entstanden die massentauglichen VR-Arcade-Automaten erst 1991 vom Unternehmen „W-Industries“. Basierend auf dem Amiga 3000 stellte W-Industries das ein Kilogramm schweren Arcade-Gerät vor.11Redaktion TechMonitor, 1991, https://techmonitor.ai/technology/w_industries_makes_virtual_reality_a_reality_at_ukp20000 (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Zwei Jahre später dann wurde der SEGA VR angekündigt, welches erstmals an die heutigen VR-Brillen erinnert. Aufgrund immenser Produktionskosten durch teure Bewegungssensoren und dem damals noch unlösbaren Problem der Motion Sickness wurde SEGAS VR-Brille jedoch nie veröffentlicht.12Bezmalinovic, Mixed, 2017, https://mixed.de/sega-vr-vom-aufstieg-und-fall-der-legendaeren-vr-brillle/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) In den darauf folgenden Jahren gab es immer wieder Versuche, in der Gaming-Welt VR ähnliche Technologie zu verwenden, wie beispielsweise 1995 mit dem „Virtual Boy“ der Firma Nintendo.13Norman, History of Information, 2013, https://www.historyofinformation.com/detail.php?id=3637 (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Letztlich stoppten aber zu schwache Prozessoren, zu geringe Bildraten, eine hohe Latenz, hohe Produktionskosten  und umfassende Berichte von Augen- und Kopfschmerzen diese ersten Schritte des VR-Gaming.. 

Erst 2012 versuchte sich die neugegründete Firma „Oculus VR“ erneut an dem Vorhaben, VR in den Gamingmarkt zu integrieren. Über Crowdfounding wurde die VR-Brille „Oculus Rift“ finanziert (Harris, 2019).14Harris, 2019, The History of the Future: Oculus, Facebook, and the Revolution That Swept Virtual Reality Meta entdeckte das Potenzial des VR-Marktes und kaufte Oculus VR auf. Viele andere Unternehmen wie HTC und Microsoft signalisierten Interesse und versuchten sich an eigener VR-Hardware. Erneut blieb der Virtual-Reality-Boom aus, die VR-Brillen verschiedener Hersteller verkaufen sich zu schlecht. Vor allem, da große Spieletitel ausblieben, welche eine Anschaffung für Gamer*innen gerechtfertigt hätten. Erst mit der „Meta Quest“ und der „Meta Quest 2“ und Spielen wie dem Rhythmus-Lichtschwert-Game „Beat Saber“ (2018) und „Half-Life-Alyx“ (2020) erreichte die VR-Technologie größere Absatzzahlen und das Interesse vieler Videospieler*innen. Gegenwärtig herrscht jedoch Uneinigkeit in den Gaming-Communitys. Durch die von Sony veröffentlichte Playstation VR2 präsentiert das Unternehmen, wie leistungsstark gegenwärtige Videospielhardware ist und hochauflösende Titel wie „Horizon Call of the Mountain“ beeindrucken Fachpresse und Gaming-Publikum. Jedoch fehlt nach wie vor ein breiter Spielekatalog für die VR-Brillen von Sony, Meta oder Apple, der die Technologie stärker bei Gamer*innen verankern würde. Stand 2023 bleibt VR eine Nische in der Gaming-Kultur, welche von der breiten Masse der Spielenden zwar wahrgenommen, aber längst nicht präferiert wird.

DUNKLE PARTIZIPATION, TOXIZITÄT UND GAMING 

Trotz der gegenwärtigen Skepsis gegenüber VR-Hardware sind immersive Realitäten und Virtual Reality längst fester Bestandteil der Gaming-Kultur. Videospieler*innen sind in der Regel Teil verschiedener Gaming-Communitys, die sich um verschiedene Genres, Influencer*in oder Spieletitel bilden. Der größte Teil der Gamer*innen hat dabei schon Hass in Gaming-Spaces erlebt – ob in Ingame-Chats, auf Plattformen oder durch private Nachrichten. Die Studie „Hate is no Game“ der „Anti-Defamation League“ besagt, dass 77% der Ü18-Spielenden schon Hassrede in Videospielkontexten wahrgenommen haben. Erschreckend dabei: Sogar 20% der erwachsenen Spieler*innen sind auf Rechtsextreme innerhalb der Communitys getroffen. Es sind vor allem weiblich gelesene Spielende, nicht weiße Spielende, jüdische Spielende und Teile der LGBTQIA+-Community, die von Hass im Gaming betroffen sind. Diese Gruppen werden aufgrund der Zugehörigkeit zu einer spezifischen Gruppe (z.B. Jüd*innen oder African Amerikans) diffamiert (ADL, 2022).15Kelley, ADL, 2022, https://www.adl.org/resources/report/hate-no-game-hate-and-harassment-online-games-2022 (letztes Abrufdatum 10.12.2023) 

„Dark Partizipation“ oder auch toxisches Verhalten exkludiert vor allem marginalisierte Gruppen aus verschiedenen Interaktionsfeldern immersiver Realitäten. Der Begriff „Dark Partizipation“ umfasst dabei Beleidigungen, Hassrede, sexuelle Belästigung, diskriminierende Profil/Nicknames, Doxxing und die Verbreitung von Desinformation. In der Gaming-Praxis gibt es verschiedene Ebenen, auf denen Dark Partizipation sichtbar wird. Zunächst ist die „Ingame“-Ebene zu benennen. Ob via Textnachricht oder Sprachchat: Fast jedes Online-Videospiel hat mit beleidigenden, herablassenden bis zu menschenfeindlichen Aussagen innerhalb der Spieler*innenkommunikation zu kämpfen. Studios und Spieleherstellende versuchen mit Moderationstools und Wortfiltern Hassrede zu reduzieren, jedoch adaptieren toxische Gamer*innen Systeme und umgehen Restriktionen, beispielsweise mit Leetspeak (also dem Vermischen von Buchstaben und ähnlich aussehenden Zahlen). So berichten viele E-Sportler*innen und Gamer*innen beispielsweise vom toxischen Alltag im Videospiel „League of Legends“16Gogoll, Taz, 2021, https://taz.de/Trainer-ueber-Diskriminierung-im-E-Sport/!5812767/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) oder weiblich gelesene Spieler*innen von Sexismus im Sprachchat des Shooters „Valorant“.17 eSports-Redaktion, esports.com, 2021, https://www.esports.com/de/streamerinnen-rant-auf-twitter-so-gross-ist-das-sexismus-problem-in-valorant-242179 (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Vor allem Videospiele in VR bergen dabei die Gefahr, dass ableistische, rassistische oder misogyne Diskriminierungen ungefiltert Betroffene erreichen. So gibt es Beispiele von „Among Us VR“ oder VR-Sportspielen, in denen beispielsweise das N-Word von einem Avatar in unmittelbarer Umgebung geäußert wird. Es sind nicht nur Spieleerfahrungen, sondern auch Menschenfeindlichkeit, die durch VR-Brillen immersiver wird.18Youtube Kanal Mayomonkey, Youtube, 2022, https://www.youtube.com/watch?v=qbuAtWkr46s (CN Rassismus) (letztes Abrufdatum 10.12.2023)

Eine weitere Ebene, auf der Dark Partizipation im Gaming stattfindet, ist die Plattformebene. Auch abseits des eigentlichen Spiels fällt auf unterschiedlichen Gamingplattformen toxische Kommunikation auf. Beispielsweise dann, wenn auf der bei PC-Gamer*innen beliebten Plattform „Steam“ über Black Lives Matter (BLM) diskutiert wird. Neben Solidarität mit George Floyd und der BLM-Bewegung reproduzieren Spielende Rassismus und verbreiten Desinformation.19Prinz, Amadeu Antonio Stiftung – Unverpixelter Hass—Gaming zwischen Massenphänomen und rechtsextremen Radikalisierungsraum, 2022, https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/neue-handreichung-unverpixelter-hass-gaming-zwischen-massenphaenomen-und-rechtsextremen-radikalisierungsraum-81173/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) An anderer Stelle dagegen postulieren toxische Gamer*innen, dass Diversität in Videospielen zu einem Boykott führe und politische Haltungen aus normativen Werken rausgehalten werden müssten. 

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Abbildung 3: Toxisches Nutzer*innen-Review zur Erweiterung des Spiels Horizon Forbidden West auf der Seite Metacritic. Das Narrativ: Kinder werden durch die Spielegeschichte „homosexualisiert“ (Quelle: Metacritic, 2023)


Vor allem die Bewertungskommentare des Spiels „Starfield“, in welchem Spieler*innen die Pronomen der eigenen Avatare frei wählen können, sind geprägt von solch unsachlicher Kritik.20Steam, 2023 https://store.steampowered.com/agecheck/app/1716740/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Auch andere Interaktionsorte wie die Streamingplattform „Twitch“ sind kein Save Space für marginalisierte Gruppen. Neben Diskriminierung im Livestreamchat gibt es unzählige Talkformate, in denen rechtsextremen Positionen eine Bühne geboten wird.21Belltower.news – Redaktion, 2021, https://www.belltower.news/gaming-rechtextremismus-im-livestream-was-passiert-auf-twitch-111417/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023)

IMMERSIVE REALITÄTEN UND DIE EXTREME RECHTE

Dark Partizipation greift ohne viel Widerstand in verschiedenen Bereichen der Gaming-Welt. Auch, weil viele Spieler*innen problematische Inhalte ignorieren werden und die Meldefunktionen spärlich genutzt wird. Dazu kommt eine uneinheitlich und wenig präsente Moderation seitens der Plattformbetreibenden. In der Konsequenz sind neben toxischen Stimmen auch extrem rechte Akteur*innen aktiv in immersiven Realitäten. Dabei gibt es drei Formen der Instrumentalisierung immersiver Realitäten durch die extreme Rechte.

Zum einen ist die Vernetzung (1) innerhalb digitaler Welten zu nennen. Im Online-Modus des beliebten Aktionspiels „Grand theft Auto V“ beispielsweise können eigene Avatare erstellt werden. Auf eigenen Rollenspielservern werden eigene Ziele formuliert und es wird einem routinierten Tagesablauf nachgegangen. Innerhalb der digitalen Welt versammelten sich ebenfalls Spieler*innen, die der SHAEF-Verschwörungserzählung folgen. In GTA Online gingen sie auf digitale Patrouille. SHAEF ist das Akronym für „Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force“ und bezeichnet das 1943 unter General Eisenhower etablierte Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte, das nach Kriegsende aufgelöst wurde. Genau wie klassische Reichsbürger*innen gehen SHAEF-Anhänger*innen davon aus, dass es sich bei Deutschland um einen besetzten Staat, eine „BRD GmbH“, handele.22De:hate, Belltower.news, 2021, https://www.belltower.news/shaef-verschwoerung-commander-jansen-verbreitet-trumps-willen-auf-telegram-123213/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Auch auf Roblox, einer Plattform, auf der Spielende eigene Minigames/“Erlebnisse“ erstellen und zum freien Download anbieten können, existieren zahlreiche rechtsextreme Erlebniswelten. Auf einer Karte können Spielende in die Rolle eines SS-Offiziers schlüpfen, durch ein fiktionales Berlin der 1940er-Jahre marschieren und weitere Spielende mit dem Hitlergruß begrüßen. An anderer Stelle bewegen sich Spieler*innen durch ein Vernichtungslager, in welchem die Shoa bagatellisiert wird, während an anderer Stelle digitale Avatare auf Hakenkreuzemblemen Schießübungen veranstalten. Roblox ist eine Plattform, die vor allem bei 9-12-Jährigen beliebt ist und über 200 Mio. aktive User*innen aufweist. Viele der rechtsextremen „Erlebnisse“ lassen sich mit nur wenigen Klicks entdecken (Prinz, 2023).23Prinz, taz, 2023, https://taz.de/!5909022/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Ein anderer Titel auf Steam dagegen kommt deutlich subtiler daher. In der Beschreibung heißt es „[Spielname] ist eine wahrhaft immersive und unzensierte soziale Erfahrung, bei der […] mit Gleichgesinnten auf eine gegenseitig konstruktive Art und Weise auseinandergesetzt wird […].“ Klingt auf den ersten Blick vielversprechend. Das Spiel postuliert jedoch, in einer digitalen Umgebung politische Meinungen jedweder Art äußern zu dürfen. Dabei wirbt es mit Symbolik der Covid19-Protestbewegung aus Kanada und Zeichen der verschwörungsideologischen „QANON“-Erzählung (Steam, 2023). Extrem rechte Akteur*innen nutzen immersive Realitäten also als alternative Interaktionsräume, um mit möglichst wenig Widerstand eine eigene rechtsextreme Erlebniswelt mit weiteren Gleichgesinnten aufzubauen oder bestehende digitale Räume zu instrumentalisieren. 

Ein weiterer Beweggrund knüpft daran an: Gaming und immersive Realitäten werden als Teil eines Kulturkampfes von rechts begriffen, als sogenannte „Metapolitik“ (2). Unter „Metapolitik“ versteht die sogenannte „Neue Rechte“ eine Strategie, den vorpolitischen Raum zu besetzen und so den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts zu verschieben. In der Praxis werden innerhalb von immersiven Gaming-Realitäten und auf Videospielplattformen rechtsextreme Symbole und Codes verbreitet oder extrem rechte Akteur*innen glorifiziert. So gibt es auf Steam hunderte Profile, die ihr Profil nach der rechtsextremen Losung „Read Siege“ benennen – also nach dem Aufruf, die Anleitung zum „Rassenkrieg“ und „führerlosen Widerstands“ zu lesen, an welcher sich die rechtsterroristische „Atomwaffen Division“ orientiert.24Ayyadi, Belltower.news, 2020, https://www.belltower.news/siege-james-masons-anleitung-zum-rassenkrieg-fuer-die-atomwaffen-division-94551/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Auch die Täter von Christchurch, Halle und Buffalo wurden auf Steam durch Profilbilder- und Beschreibungen glorifiziert.25Gensing, Tagesschau, 2020, https://www.tagesschau.de/investigativ/steam-christchurch-terrorismus-101.html (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Auf Roblox gab es dagegen sogar eigene Videospielwelten, in denen Spieler*innen in die Rolle der Rechtsterroristen schlüpfen konnten und rechtsterroristische Anschläge nachspielbar wurden. In einem frei herunterladbaren Erlebnis konnten Spielende beispielsweise die Rolle des Rechtsextremisten von Buffalo einnehmen und den Anschlag im „Tops“-Supermarkt nachspielen. 

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Abbildung 4: Rechtsextremes „Erlebnis“ auf Roblox. Hier können Spielende den Anschlag von Buffalo nachspielen (Quelle: Roblox, 2023)


Auch die Anschläge von Christchurch und Halle waren auf der Plattform verfügbar, bis die Moderation nach Monaten reagierte.26Graf/Marx, Gamestar, 2022, https://www.gamestar.de/artikel/podcast-gaming-rechtsextremismus,3387301.html (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Grundlegend nutzt die extreme Rechte vor allem Gamingbereiche, in denen eigene Inhalte erstellt und designt werden können. Sandkastenartige Spielkonzepte wie „Roblox“ und „Minecraft“ werden hier genutzt, aber auch der Workshopbereich von Steam. Hier lassen sich sogenannte Modifikationen (Mods) für bereits bestehende Spiele entwickeln. Mit dabei: Mods, in denen Spielende die Waffen-SS als legitime Fraktion in „Company of Heros“ spielen oder Adolf Hitler als Staatsoberhaupt in „Civilization VI“ ausgewählt werden kann.27Steam, 2023, https://store.steampowered.com/app/289070/Sid_Meiers_Civilization_VI/?l=german (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Es sind also vor allem existierende Gaming-Infrastrukturen, in denen Rechtsextreme ihre „Metapolitik“ forcieren. Vereinzelt versuchen Neonazis auch eigene Propagandagames zu bauen, beispielsweise ein rechtes Entwicklerstudio aus den Reihen der „Identitären Bewegung“. In diesem kann eine der Kaderfiguren der sogenannten „neuen Rechten“ gewählt werden, um anschließend als Martin Sellner oder Alexander „Malenki“ Kleine in einem dystopischen 2D-Pixel-Jump’n’Run gegen rechte Feindbilder zu kämpfen.28Jugendschutz.net, 2020, https://www.jugendschutz.net/mediathek/artikel/praxisinfo-computerspiel-heimat-defender-rebellion (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Eigenständig funktionierende VR-Games zu entwickeln, scheint bisher nicht keine Agenda rechtsextremer Gruppierungen zu sein. 

Das letzte Motiv für die extreme Rechte, immersive Gaming-Räume zu nutzen, ist die Mobilisierung (3). Extrem Rechte Akteur*innen nutzen gemeinsame Zock-Abende oder patriotische Videospieltourniere, um potenziell Interessierte anzusprechen und gleichzeitig die eigene Ingroup zu re-aktivieren. In immersiven Realitäten von Roblox kam es schon zu gezielten Ansprachen von Jugendlichen. Junge Spielende wurden in rechtsextreme Gruppen eingeladen und zu gemeinsamen Schießübungen motiviert (SWR Vollbild, 2023).29Youtube Kanal Vollbild, Youtube, 2023, https://www.youtube.com/watch?v=-01FPD-SYsc (letztes Abrufdatum 10.12.2023) An anderer Stelle wird im Spiel „Second Life“ Merchandise von verschwörungsideologischen Influencer*innen verbreitet. Spieler*innen-Avatare fungieren so als digitale Werbetafeln für Desinformation. Auch in existierenden VR-Spielen wie „VRChat“ treten rechtsextreme Gruppierungen auf, um menschenverachtende Narrative zu verbreiten, zu provozieren, aber auch mit dem Versuch, Interesse zu wecken. So kam es im Spiel „VRChat“ schon zu Auftritten von Akteur*innen in Ku-Klux-Klan-Outfits, die rassistische Monologe hielten.30Youtube Kanal ScaryToaster, Youtube, 2022, https://www.youtube.com/watch?v=j6Oxzjt2oxg (CN Rassismus) (letztes Abrufdatum 10.12.2023)

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Abbildung 5: Screenshot aus VR Chat. Eine Person im KKK-Outfit belästigt andere Spielende, Quelle: VRChat, 2022


Es wird deutlich, die extreme Rechte nutzt verschiedene Bereiche immersiver Realitäten, um rassistische und antisemitische Ideologieelemente zu verbreiten, Menschen zu (re-) mobilisieren und sich gleichzeitig zu vernetzen. Vor allem das Erstellen eigener Avatare, die Implementierung von Gesten und das Kreieren eigener immersiver Realitäten (wie im Sandkasten Roblox oder Minecraft) bergen Gefahrenpotenzial. Aufgrund dessen werden Teile der digitalen Welten zu Orten, an denen sich vor allem Betroffene von Diskriminierung nicht frei und sicher bewegen können.

DEMOKRATIE IN VR UND IMMERSIVEN REALITÄTEN? 

Die Gaming-Kultur macht deutlich, mit welchen Herausforderungen immersive Realitäten und metaverseähnliche Räume konfrontiert sind. Gleichzeitig unterstreichen Erfahrungen aus unterschiedlichen Videospiel-Communitys, dass digitale Welten demokratische Potenziale bereithalten. So vermitteln mehr und mehr Videospiele einen Wertekanon, der Pluralität und Toleranz in den Mittelpunkt stellt. Dies gilt auch für Videospiele, die primär zur Unterhaltung dienen und ein kommerzielles Interesse haben. So implementiert das Spiel „The Last of Us 2“ beispielsweise eine queere Liebesbeziehung und beschäftigt sich mit Diskriminierungserfahrungen von trans Personen. „Spider Man 2“ dagegen bildet antirassistische und diverse Narrative in seinem Setting ab, während moderne Rollenspiele wie „Baldurs Gate 3“ im Charaktereditor mit binären Geschlechterklischees brechen (Gayming Magazin, 2022).31Hart, Gayming, 2022, https://gaymingmag.com/2022/12/baldurs-gate-3-adds-non-binary-option/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) An andere Stelle ermöglicht das Aktionsspiel „Assassiens Creed Mirage“ Einblicke in islamische Glaubenssätze. Auch sogenannte „Serious Games“, also Videospiele mit bildungspolitischem Anspruch, sind deutlich immersiver als statische Lernspiele der frühen Nullerjahre. „The Darkest Files“ beispielsweise ist ein historisches Ermittlungs- und Gerichtsspiel. Spielende sind Teil des Staatsanwaltsteams um Fritz Bauer und müssen Nazi-Täter vor Gericht bringen.32Steam, 2023, https://store.steampowered.com/app/2058730/The_Darkest_Files/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Im Spiel „Hidden Codes“ der Bildungsstätte Anne Frank dagegen wird über aktuelle rechtsextreme Symbolik informiert. Durch eine Klassenversion lässt sich der Titel dabei ohne viel Aufwand im Schulunterricht einsetzen.33Bildungsstätte Anne Frank, 2023, https://www.hidden-codes.de/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023)Demokratische Werte werden so spiel- und erlebbar. 

Auch innerhalb von immersiven Realitäten artikulieren sich demokratische Bewegungen. So kommen jährlich in der Welt „Tyria“ des Online-Rollenspiels „Guild Wars 2“ Hunderte Spieler*innen zusammen und veranstalten innerhalb des Spiels einen Protestmarsch für die LGBQIA+-Community. Neben der symbolischen Wirkung werden auch Spenden für Initiativen gesammelt, die sich gegen Menschenfeindlichkeit positionieren.34Guild Wars 2 Forum, 2023, https://en-forum.guildwars2.com/topic/129869-tyria-pride-2023/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) An anderer Stelle zeigen Spieler*innen in der Welt von „Die Sims“ und „Animal Crossing“ ihre Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung. Es werden kosmetische Kleidungsstücke mit BLM-Schriftzügen designt und in digitalen Demonstrationen auf Alltagsrassismus und Diskriminierung hingewiesen (Kotaku, 2020).35Grayson, Kotaku, 2020, https://kotaku.com/sims-players-hold-virtual-black-lives-matter-rally-1843998733 (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Als Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine bewiesen Spieler*innen in der Welt von „The Elders Scrolls Online“ Haltung und veranstalteten einen Marsch für den Frieden für die Betroffenen in der Ukraine.36Marasigan, MMOs.com, 2022, https://mmos.com/news/elder-scrolls-online-protest-russias-invasion-of-ukraine-with-peace-marches-in-cyrodiil (letztes Abrufdatum 10.12.2023) Vor allem in Online-Videospielen, in denen Gamer*innen einen eigenen Avatar gestalten und sich in Spieler*innen-Gemeinschaften organisieren, ist demokratischer Protest längst keine Seltenheit mehr.

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Abbildung 6: Pride Parade im Spiel Guild Wars 2; einmal im Jahr veranstalten Spielende eine Solidaritätsdemonstration für die LGBQIA+ Community, Quelle: Guild Wars 2, 2022


Innerhalb von VR-Welten dagegen gibt es erst einige wenige Pilotprojekte, die ein stärkeres Problembewusstsein für Diskriminierung forcieren. Das liegt zum einen an der begrenzten Verbreitung von VR-Headsets im Vergleich zur sonstigen Gaming-Hardware. Zum anderen aber auch an den pädagogischen und didaktischen Herausforderungen, welche immersive Erfahrungen in VR-Welten bereithalten. Die Abbildung von diskriminierenden und hasserfüllten Aussagen in virtuellen Realitäten kann aufgrund der Immersion vor allem für Betroffene traumatisch sein. Das Projekt „Debug“ begleitet daher beispielsweise Nutzer*innen ihrer VR-Erfahrung auch abseits vom Headset. Spieler*innen werden in der VR von einem Schwarm Moskitos verfolgt, der in Dauerschleife rassistische Stigmatisierungen äußert. Debug vermittelt dabei die Allgegenwärtigkeit von Alltagsrassismus für Betroffene und die Intensität der Stigmatisierung.37Belltower, 2022 https://www.belltower.news/videospiel-gegen-rassismus-virtual-reality-ermoeglicht-einen-perspektivenwechsel-141205/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) In dem Titel „1,000 Cut Journey“ dagegen erleben Spielende verschiedene Lebenszyklen und Perspektiven eines POC-Protagonisten. Ob bei Disziplinarmaßnahmen im Klassenzimmer, als Jugendlicher durch die Polizei oder als junger Erwachsener durch Diskriminierung am Arbeitsplatz – Rassismus zieht sich durch das Leben der eigenen Spielfigur (Gamesforchange, 2023).38Prinz, Belltower.news. 2022 https://www.gamesforchange.org/games/1000-cut-journey/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) 

Ein weiteres VR-Erlebnis mit dem Titel „I Am A Man“ macht dagegen die Geschichte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner*innen erfahrbar. Durch die Darstellung in VR soll ein besseres und persönliches Verständnis für die Kämpfe von marginalisierten Gruppen ermöglicht werden. Der Titel verwendet historisches Filmmaterial, Fotografien und Sprachaufnahmen von tatsächlichen Teilnehmer*innen der Bürgerrechtsbewegung. „I Am A Man“ sieht sich selbst als interaktiv-dokumentarische Erfahrung, um ein tieferes Bewusstsein für antirassistische Kämpfe zu vermitteln (Meta, 2023).39I Am A MAN, Meta, 2018, https://www.meta.com/de-de/experiences/pcvr/1558748774146820/ (letztes Abrufdatum 10.12.2023) 

Ein Bild, das draußen, Kleidung, Himmel, Gebäude enthält.

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Abbildung 7: Screenshot des-VR Spiels „I AM A MAN“, Quelle: Meta, 2023

Virtuelle Realitäten können dabei nicht das tatsächliche Leid und den Schmerz von Betroffenen abbilden. Es sind aber Versuche, Betroffenenperspektiven für jene zugänglich werden zu lassen, die sich in privilegierten Perspektiven noch nicht mit Diskriminierung beschäftigen mussten oder dies schlicht nicht wollten. Zudem können sie eine Nähe und Erlebbarkeit zu historischen Ereignissen durch die Integration historischer Quellen generieren und Prozesse greifbarer werden lassen.

KONKLUSION UND APELL FÜR EINE IMMERSIVE DEMOKRATISCHE ZIVILGESELLSCHAFT

Die Erfahrungswerte von immersiven Realitäten und VR-Erlebnissen im Kontext der Gaming-Kultur unterstreichen, mit welchen Chancen und Möglichkeiten, aber auch mit welchen Herausforderungen zukünftige metaversähnliche Ökosysteme konfrontiert werden. Extrem rechte Akteur*innen nutzen verschiedene Segmente immersiver Realität. Jedoch machen auch demokratische Bewegungen von diesem Räumen Gebrauch. Abschließend werden daher klare Empfehlungen für die Partizipation in zukünftigen virtuellen Realitäten formuliert. 

  • 1) Avatarisierung: Wenn VR-Räume erlauben, einen eigenen Avatar zu erstellen und zu designen, müssen Diversitätsoptionen mit bedacht werden. Ein Editor, der lediglich in binären Geschlechtermodellen denkt oder Haut- oder Haartypen ignoriert, exkludiert breite Teile der Gesellschaft. Zusätzlich gilt es darauf zu achten, diskriminierende und/oder strafrechtlich relevante Symbolik nicht reproduzierbar werden zu lassen. 
  • 2) Moderation menschenverachtender Inhalte: Neben umfassenden Report- und Meldefunktionen ist eine proaktive Moderation notwendig, welche hasserfüllte Symbolik identifiziert und antidemokratische Narrative erkennt. Zudem gilt es, extremistischen Gruppen die Partizipation in der eigenen VR zu erschweren. In Videospielräumen werden dafür schon Anti-Hass Sprachprogramme getestet und strafrechtliche Inhalte werden idealerweise frühzeitig erkannt. 
  • 3) Demokratische Teilhabe forcieren: Immersive Realitäten können dazu genutzt werden, auf problematische Aspekte in der analogen Welt hinzuweisen und sich mit Betroffenen zu solidarisieren. VR-Räume sollten hierfür idealerweise eine Infrastruktur bereithalten, die demokratische Partizipation nicht nur ermöglicht, sondern auch fördert. Beispielsweise durch moderierte Austauschorte, Vorträge oder Workshops in immersiven Realitäten. Angesprochen positive Beispiele wie die „Uncensored Libary“ (Minecraft) müssen Nutzer*innen zugänglich gemacht werden. 
  • 4) Marginalisierte Gruppen schützen/Sicherheitseinstellungen: Die sogenannte „Metapolitik“ und die Mobilisierungsversuche in Spielen wie Roblox oder VR Chat machen deutlich, dass extrem rechte Akteur*innen immersive Realitäten strategisch nutzen. Vor allem Betroffenen von Diskriminierung, aber auch alle anderen Nutzer*innen müssen daher umfassende Sicherheitseinstellungen vornehmen können und darüber informiert werden. So müssen Text- und Sprachchats stummgeschaltet werden können, Gesten ausgeblendet werden und es sollte sich ein Sicherheitsbereich um den eigenen Avatar aktivieren lassen. Das ist zentral, um auf Wunsch eine räumliche Nähe zu garantieren. 

Um demokratische Partizipation zu gewährleisten und marginalisierte Positionen nicht auszuschließen, sind diese vier Punkte eine Mindestanforderung für immersive Realitäten. 

Der Beitrag hat die Potenziale in VR-Räumen und digitalen Welten für ein progressives Werteverständnis unterstrichen. Gleichzeitig gibt es viele Stolperfallen und antidemokratische Bestrebungen, die bei der potenziellen Technologie von morgen mitbedacht werden müssen. Vor allem durch eine zunehmend realistischere Grafik in immersiven Realitäten wird die Problematik deutlich: Sollten rechtsterroristische Anschläge, etwa die von Christchurch oder Halle, von einer statischen Klötzchen-Roblox-Grafik in ein hyperrealistisches Gewand wechseln, steigt die Sogwirkung für extremistische Akteur*innen. Sowohl Entwickler*innen, Unternehmen, Behörden, aber auch die digitale Zivilgesellschaft müssen gleichermaßen an einem demokratischen Metaverse mitwirken. Die Lehren aus der Games-Kultur sollten dabei nicht vergessen werden.

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